Rekorde und Rüge: Mitgliederversammlung beim SC Freiburg endet mit Abwahl von Funktionär / Kommentar Wirtschaft | 15.11.2024 | Philip Thomas
Fünf Stunden lang tagte das höchste Beschlussorgan des SC Freiburg. Am Ende der Mitgliederversammlung Mitte Oktober stand trotz neuen Rekordzahlen die Abwahl des Ehrenratsvorsitzenden und die Frage, was aus dem unbesetzten Amt des Präsidenten wird. Ein Experte vermutet Machtkämpfe hinter verschlossenen Türen und spricht von einer unprofessionell moderierten Veranstaltung.
„Wirtschaftlich haben wir ein herausragendes Jahr hinter uns“, bilanzierte Finanzvorstand Oliver Leki die Spielzeit 2023/24. Unterm Strich steht beim SC Freiburg ein Umsatz von 203,1 Millionen Euro und ein Jahresüberschuss von 40,8 Millionen. In der Vorsaison waren es 175,3 sowie 16,1 Millionen Euro. „Das sind die besten Zahlen, die wir je ausweisen konnten“, so Leki. Bankverbindlichkeiten habe der Verein nicht.
Verantwortlich für die Rekordzahlen sei nicht zuletzt der internationale Wettbewerb: „Die Europa League hat man früher wirtschaftlich belächelt. Heute ist sie hoch lukrativ.“ 88,6 Millionen Euro kassierte der Bundesligist insgesamt für seine mediale Verwertung. In der Saison 21/22 gab es für die internationalen DFL-Wettbewerber noch 3,3 Millionen Euro. Für die Spielzeit 24/25 sind 9,1 Millionen Euro veranschlagt.
Auch die Abgänge von Kevin Schade und Mark Flekken zum FC Brentford bescherten finanzielle Spielräume. Eine Summe nannte Sportvorstand Jochen Saier wie üblich nicht. Laut Medienberichten überwiesen die Briten für die beiden Spieler insgesamt 40 Millionen Euro in den Breisgau.
Knapp 73.000 Mitglieder zählt der Sport-Club aktuell. Vor einem Jahr waren es rund 63.000. „Auch andere Bundesligisten bemerken Zuspruch, dieser Anstieg ist aber sicher überproportional“, kommentiert Leki. Eine Umfrage mit 7000 von ihnen ergab, dass 85 Prozent den Spagat zwischen wirtschaftlichem Wachstum und den Vereinswerten für „gelungen“ oder „sehr gelungen“ halten.
Außendarstellung zu defensiv
Weniger Zuspruch gab es für die Außendarstellung. 37 Prozent der Befragten beurteilen die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins als „zu defensiv“. In seiner Satzung steht, dass dieser neutral zu politischen, weltanschaulichen sowie konfessionellen Themen steht. Für Leki ein Fingerzeig: „Die Welt verändert sich. Damit werden wir uns beschäftigen müssen.“
Bis zum Jahresende will der Sport-Club mit dem Umbau des Dreisamstadions beginnen. Drei Jahre sollen die Arbeiten dauern. „Acht bis zehn Millionen Euro werden wir in die Hand nehmen“, sagt Leki. Unter anderem soll ein Kunstrasenplatz vor der Spielstätte entstehen. „Das ist eine langfristige Perspektive für unsere Frauen- und U23-Mannschaften“, so Sportvorstand Saier. Außerdem geplant ist die Errichtung eines Vereinsmuseums.
Diskussionsbedarf hatten die 980 stimmberechtigten Vereinsmitglieder in der Freiburger Messe dann aber doch. Schließlich war Anfang September publik geworden, dass SC-Präsident Eberhard Fugmann sein Amt unmittelbar niederlegen und nicht erneut zur Wahl antreten wird. Er hatte das Ehrenamt im Jahr 2021 übernommen. „Ausschlaggebend sind unterschiedliche Auffassungen über die Ausgestaltung des Amtes“, hieß es in der Einladung zur Mitgliederversammlung.
Bei Gesprächen zwischen dem satzungsgemäß für dieses Amt verantwortlichen Ehrenrat und Fugmann im ersten Quartal des Jahres sah es laut Ehrenratsvorsitzendem Rolf Ziegelbauer noch danach aus, als könnten „Vorbehalte“ ausgeräumt werden. „Im Gremium war nicht abzusehen, dass es diese Entwicklung geben könnte, dass sich Vorbehalte so verstärken“, sagt er. Welche Vorbehalte das waren, wollte keiner der Verantwortlichen trotz mehrfacher Nachfragen aus dem Publikum und in Fugmanns Abwesenheit beantworten.
„Ich halte das für schädigendes Verhalten an Herrn Fugmann, der in der Fanszene eigentlich ein gutes Standing hatte“, kommentiert ein Mitglied am Saalmikrofon. Auch einen neuen Kandidaten präsentierte der Ehrenratsvorsitzende zum Unmut der Mitglieder nicht. Die Zeit nach der Entscheidung „Ende Juli, Anfang August“ bis zur Mitgliederversammlung am 10. Oktober habe nicht ausgereicht. „Wir verstehen alle nicht, warum er nicht mehr Präsident werden sollte. Wer Nächster wird, der hat die gleichen Probleme“, beklagt ein Fan von Commando Mooswald in der Runde.
Im Publikum saß auch der Organisationssoziologe Ulrich Martin Drescher. „Das war selten unprofessionell vorbereitet und moderiert“, sagt er nach der Veranstaltung im Gespräch mit der Redaktion und vermutet einen vorangegangenen Machtkampf hinter verschlossenen Türen – mit Bauernopfer Fugmann. Die Freiburger Definition eines ehrenamtlichen Club-Präsidenten in einem Verein samt Aufsichts- und Ehrenrat sei unüblich. „Das Amt ist eine Konstruktion aus Stocker-Zeiten“, sagt der 72-Jährige.
Auch die aktuelle Freiburger Vereinssatzung, wonach der Aufsichtsratsvorsitzende bei Stimmgleichheit der Vorstände entscheidet, werfe Fragen auf. „In einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft ist so etwas nicht zulässig. Im Vereinsrecht schon, aber wir sprechen hier von einem Verein mit mehr als 200 Millionen Umsatz“, betont Drescher und schlussfolgert: „Der SC hat Wachstumsschmerzen.“
Die Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung in eine Kapitalgesellschaft und eine damit verbundene Öffnung für große Geldgeber ist beim SC nicht geplant. Saier betont: „Wir sind unser eigener Investor“.
Saiers Versuche die Wogen zu glätten, kamen zu spät: „Es war ein Fehler, das Amt inhaltlich so aufzuladen.“ Der ehemalige Schuldirektor Fugmann sei „von außen reingekommen, in den nicht unkomplexen Bereich Profifußball.“ Laut Satzung ist der SC-Präsident zuständig für Mitgliederveranstaltungen, allgemeine Image- sowie Kontaktpflege zu Fanclubs und Teilnahme an Spieltagen, Ehrungen oder Sponsorenveranstaltungen. Wann und ob das Amt wieder besetzt werden soll, ist völlig offen.
Die Wahl der Ehrenratsmitglieder, die üblicherweise offen und en bloc geschieht, wurde nach erforderlicher Mehrheit einzeln verhandelt. Acht Bewerber erreichten das Quorum. Der Vorsitzende Ziegelbauer erhielt im zur später Stunde im ausgedünnten Saal 212 Ja-Stimmen, 128 Enthaltungen und 250 Gegenstimmen. Der 75-Jährige wurde damit abgesetzt. Damit ist der Kader hinter der Mannschaft auf zwei Schlüsselpositionen geschwächt.
Kommentar
Libero gesucht
Mehr als 200 Millionen Euro Umsatz, mehr als 40 Millionen Euro Gewinn. Trotz aller guten Nachrichten hat es der neunköpfige Ehrenrat des SC Freiburg in zwei Monaten nicht geschafft, einen Nachfolger für Eberhard Fugmann zur Wahl zu stellen. Dafür musste sein Vorstand Rolf Ziegelbauer nach schwachem Schuldeingeständnis den Hut nehmen.
Auch weil die „Vorbehalte“ gegen Fugmann auf wiederholte Frage nicht mal verklausuliert formuliert wurden. Über nicht-Anwesende spricht man schließlich nicht, konterte der Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich Breit ins Plenum. Das ist sicherlich recht, aber auch ein bisschen billig.
Ein Bekenntnis zur Präsidentenposition hat der Vorstand ebenso vermieden. Bereits 2018 hatte er die Dreierkette aus Finanz- und Sportvorstand sowie Präsident per Satzungsänderung aufgelöst und die Macht des damaligen Präsidenten Fritz Keller deutlich beschnitten. Seitdem bestimmt die Doppelspitze Leki / Saier.
Beide sprachen auf der Mitgliederversammlung wiederholt von „Leitplanken“. Ihr SC nimmt immer mehr Fahrt auf, rast im Business Profifußball immer schnellere Runden. Bereits kleine Kurskorrekturen der beiden Steuermänner können schwerwiegende Folgen haben. Die Fans spüren das.
2008 zählte der Sport-Club keine 3000 Mitglieder. Gegner hießen damals Kickers Offenbach oder Alemannia Aachen. Heimspiele trug der SC auf schiefem und eigentlich zu kurzem Rasen mittels Ausnahmeregelung aus. 2024 sind es knapp 73.000 eingetragene Anhänger. Angestoßen wird in einer 131-Millionen-Euro-Arena.
Und viele dieser Anhänger kennen den Verein bloß als erfolgreichen Bundesligisten. Aber was geschieht, wenn dieser Erfolg ausbleibt und der SC all diesen Fans und mit diesem Tempo ins Schlingern gerät? Dann braucht es einen etablierten Libero zwischen Fans, Vorstand und vor allem der Mannschaft.
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