Freiburgs illegale Müllsammler vor Recyclinghöfen STADTGEPLAUDER | 18.05.2022 | Till Neumann
Es hat geklappt: Diesem Sammler vor dem Recyclinghof an der Carl-Mez-Straße geben wir das Mischpult mit eingebautem GPS.Sie stehen regelmäßig vor Recyclinghöfen. Am Straßenrand bitten sie um Elektrogeräte. Was sie damit machen? Unklar. Das chilli hat daher ein GPS-Gerät in ein altes Mischpult gebaut und einem Freiburger Müllsammler gegeben. Dass selbst diese Übergabe illegal ist, ist den meisten ebenfalls unbekannt. Über eine Recherche, bei der vieles anders kommt als geplant.
„Brauchst du das noch?“
Vor fünf Jahren habe ich eine Hifi-Anlage ausrangiert. Vor dem Recyclinghof stand eine Gruppe Männer, die mich beim Ausladen sah. Sie fragten in gebrochenem Deutsch: „Brauchst du das noch?“ Ich dachte mir: besser reparieren und weiternutzen als wegwerfen. Und gab ihnen, was sie wollten. Im Nachhinein: naiv. Dass meine spontane Abgabe verboten ist? Wusste ich nicht.
Vier Jahre später fahre ich für eine Recherche auf Freiburgs größten Recyclinghof St. Gabriel. Wie geht es da in Corona-Zeiten zu? Wie kommt das Team mit dem Riesenandrang zurecht? Nebenbei erzählt Hans-Michael Ganter vom Problem mit den Müllsammlern am Eingang. „Abfangjäger“ nennt der Recyclinghof-Chef die Dauergäste vor seinen Höfen. Sie seien Teil eines riesigen Netzes. „Der Handel mit EDV ist so groß und schlimm wie der mit Waffen“, sagt Ganter. Wer vor den Höfen stehe, sei nur ein kleines Teil im großen Ganzen: „Arme Kerle.“
Plötzlich sind sie weg
Wir wollen rausfinden, was dahintersteckt. Bei der Redaktionskonferenz beschließen wir, einen GPS-Tracker in einen alten Monitor zu bauen. Damit können wir in Echtzeit am Rechner verfolgen, wohin der Bildschirm kommt. Afrika? Osteuropa? Das sind Ziele, die Experten nennen. Die aufrüttelnde Doku „Welcome to Sodom“ zeigt das Problem: Sie porträtiert Arbeiter auf „Europas größter Mülldeponie“ Agbogbloshie im ghanaischen Accra, einem giftigen Inferno. Landet dort unser Monitor?
Über Kleinanzeigen finden wir einen alten bleischweren PC-Bildschirm. Mit Redaktionskollege Philip Thomas schraube ich ihn auf, wir bauen den Tracker ein. Dann geht’s zum Recyclinghof: Wir wollen so tun, als würden wir den Monitor entsorgen, geben ihn aber den Abfangjägern. Doch Fehlanzeige: kein Sammler weit und breit. Am nächsten Tag dasselbe. Kommende Woche auch. Über Kontakte erfahren wir, dass das Team des Recyclinghofs die Sammler vertreiben konnte. Pech.
Verbotene Übergabe
Wir müssen also warten und rufen Experten an: Wie groß ist das Müllsammel-Problem? Die Pressestelle des Freiburger Polizeipräsidiums teilt mit, dass sie dazu nicht viel sagen kann. Sie könnten nur eingreifen, wenn Sammler den Verkehr behindern. „Dazu liegen in jüngster Vergangenheit keine Fälle vor“, sagt Sprecher Özkan Cira. Tatsache ist: Die Abgabe des Mülls vorm Recyclinghof ist nicht erlaubt. „Das Verbot zur Abfallabgabe an Unberechtigte steckt hinter dem Schlagwort Überlassungspflicht in Paragraph 17 Kreislaufwirtschaftsgesetz“, informiert Peter Krause, Sprecher der Abfallwirtschaft und Stadtreinigung Freiburg (ASF).
Die Ausmaße des Sammelns kennt Andreas Habel vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE). „Das ist bundesweit organisiert – seit Jahren schon.“ Ein Dorn im Auge sei das dem Verband, sagt Habel. „Altgeräte, die nicht mehr gebrauchsfähig sind, dürfen nicht exportiert werden.“ Dafür gebe es in Deutschland die Infrastruktur, „die das Auseinandernehmen fachgerecht regelt“. Habel beruft sich auf Zahlen des Umweltbundesamtes: „Wir verlieren durch die illegalen Sammler 150.000 Tonnen Elektroschrott im Jahr.“ Für ihn liegt die Verantwortung bei der vor Ort zuständigen Abfallwirtschaftsbehörde. „Die kann jemanden schicken und fragen: ,Was machen Sie damit?‘“, so Habel. Das passiere aber viel zu wenig.
Das Ding ist zu alt
In Freiburg ist damit die ASF gemeint. Die tut das mittlerweile offenbar tatkräftig. Sonst könnten wir unseren Monitor an den Mann bringen. Also warten wir. Und warten. Nach rund einem halben Jahr landen wir doch einen Treffer: Vor dem Recyclinghof an der Carl-Mez-Straße in Freiburg-Haslach entdecke ich einen Sammler. Er steht am Straßenrand und spricht die Autofahrer an, die auf den Hof fahren wollen. Also nichts wie heim und den Monitor holen. Mit dem Kollegen Thomas fahren wir mit dem Auto zum Recyclinghof – den präparierten Monitor auf dem Beifahrersitz. Der Mann winkt uns zu, schaut den Bildschirm an und winkt ab. Offenbar ist er zu alt, zu schwer. Uninteressant.
Also fahren wir noch mal nach Hause. GPS ausbauen, neues Gerät suchen. Im Schrank finde ich ein altes DJ-Mischpult. Da passt der Tracker gerade so rein. Rund 15 Minuten später sind wir wieder am Recyclinghof und bieten die Ware erneut an. Jetzt greift er zu. Treffer. Mit seinem Motorroller fährt er kurz darauf weg.
„Netzwerk wie bei Dealern“
In der Redaktion öffnen wir die Tracking-Karte. Das Gerät liegt in einer Lagerhalle in St. Georgen. Die Route lässt sich metergenau auslesen. Jetzt heißt es wieder warten. Wir sind gespannt. Vielleicht können wir das Pult ja sogar bei einem Freiburger Gebrauchtwarenhändler wieder zurückkaufen?
Auch Rolf Buschmann vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kennt sich mit dem Problem aus: „Das ist ein Netzwerk wie bei Dealern, die Struktur ist schwer durchdringbar“, erzählt der Abfallexperte. Die Sammler kämen meist aus osteuropäischen Ländern und hätten großes Interesse an Edelmetallen. Auf keinen Fall solle man ihnen etwas geben. Unter widrigsten Umständen würde das Edelmetall in Afrika rausgeholt. In Osteuropa würde es wenigstens noch einigermaßen verwertet. Dennoch versteht Buschmann auch Kritik am deutschen Recycling: Ob Sachen wiederverwendet werden könnten, würde oft nicht geprüft. Soziale Initiativen, die das auf Recyclinghöfen machen wollen, bekämen meist keinen Zutritt.
Kein Millimeter Bewegung
Auch der Zoll kennt das schmutzige Geschäft: „Die Problematik des illegalen Exports von Elektroschrott ist dem Zoll bekannt“, sagt André Lenz. Der Pressesprecher der Generalzolldirektion in Bonn erklärt: „Die Dienststellen sind diesbezüglich sensibilisiert und berücksichtigen entsprechende Erkenntnisse im Rahmen der Risikoanalyse.“ Das heißt konkret: Sofern sich bei der Überwachung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs der Verdacht auf einen Verstoß gegen abfallrechtliche Bestimmungen ergibt, schalten die Zolldienststellen die zuständige Landesbehörde ein.
Ob das auch bei unserem Mischpult passiert? Es liegt seit dem 20. Januar in Freiburg-St Georgen und bewegt sich keinen Millimeter. Wurde es aussortiert? Oder das GPS rausgeholt? Oder geht es erst später auf Reisen? Wir wissen es nicht. Nach vier Monaten Warten haben wir beschlossen, den Artikel dennoch zu veröffentlichen. Das Abfangjäger-Netzwerk bleibt undurchsichtig. Sicher ist: Den mal nett, mal offensiv fragenden Jägern gibt man besser keine Ware.
Inferno: Die Doku „Welcome to Sodom“ zeigt, wie Elektroschrott in Ghana zum Horror wird.
Fotos: © tln, welcometosodomstills
Wie der Recyclinghof St. Gabriel den Corona-Ansturm meistert