Online-Seminar statt Unterricht am Krankenbett: Erfahrungsbericht einer Medizinstudentin Gesellschaft | 24.11.2021 | Katharina Thoma

Lehrvideos statt Kurs in der Klinik: Die vergangenen drei Semester verbrachte Katharina Thoma hauptsächlich mit Online-Lehre.

Seit Beginn der Corona-Pandemie hat die Online-Lehre auch an der Freiburger Uniklinik Einzug gehalten. Katharina Thoma ist Medizinstudentin im 9. Semester. Fürs chilli schreibt die 23-jährige auf, welche Vorteile die Online-Lehre mit sich bringt – und was sie vermisst. Wirklich vorbereitet für ihren Beruf fühlt sie sich derzeit noch nicht.

„So hatte ich mir mein Studium nicht vorgestellt“

Drei Semester lang habe ich während der Pandemie mein Medizinstudium fortgesetzt und dabei kaum einen Fuß in die Freiburger Uniklinik gesetzt. Untersuchungskurse, Hospitationen in Ambulanz und OP, persönlicher Austausch vor Ort mit Klinikmitarbeitenden und Patient·innen fielen weitgehend aus. So hatte ich mir mein Studium nicht vorgestellt. Jetzt finden endlich wieder mehr Kurse in Präsenz statt, allerdings weiterhin weniger als vor der Pandemie. Ich frage mich: Wie viel der eigentlich in meinem Studium vorgesehenen Praxis werde ich noch verpassen, bis ich approbierte Ärztin bin?

Ärztin sein. Darauf fühle ich mich im Moment noch nicht wirklich vorbereitet. Ich habe manche Fächer abgeschlossen, ohne die Klinik auch nur betreten zu haben. Trotzdem soll ich in ein paar Jahren Patient·innen dazu beraten können. Der Berufseinstieg ist ohnehin ein Sprung ins kalte Wasser, nur jetzt aus doppelter Höhe. Mit diesen Sorgen fühle ich mich allein gelassen. Ich habe den Eindruck, dass Folgen der Pandemie für Studierende in der öffentlichen Diskussion wenig präsent sind: Probleme mit der Online-Lehre, aber auch soziale Isolation, finanzielle Sorgen und fehlende Zukunftsperspektiven. Das macht mich wütend.

Blut abnehmen lernt man nicht am Bildschirm

Nur: wütend auf wen? Die Klinik? Die Universität? Die Landesregierung von Baden-Württemberg oder das Bundesgesundheitsministerium? Niemand kann etwas für diese Pandemie. Und ich weiß, dass in allen genannten Institutionen viele Menschen hart dafür arbeiten, den Universitätsbetrieb bestmöglich am Laufen zu halten. Vergangenes Jahr gab es außerdem noch keine Impfung. Da wäre es wirklich problematisch gewesen, hunderte Studierende mit teils besonders gefährdeten Patient·innen in Kontakt zu bringen.

Aber was ist mit dem langfristigen Schutz der Patient·innen? Die berechtigte Sorge vor möglichen Corona-Infektionen hat zu einer deutlichen Einschränkung der praktischen Ausbildung mehrerer Jahrgänge an Mediziner·innen geführt. Doch Medizin ist kein Fach, das man allein auf dem Schreibtischstuhl und vor dem Bildschirm absolvieren kann. Denn wie man Blut abnimmt, lernt man nicht aus Büchern und Online-Fallbesprechungen ersetzen keinen Tag in der Ambulanz. Was bedeutet die fehlende Praxis für die zukünftige Qualität der ärztlichen Versorgung? Werde ich eine schlechtere Ärztin sein?

Kann man nicht am Rechner lernen: die Praxis am Patienten in der Klinik.

Fast alle sind geimpft

Bereits im März konnte ich mich als Freiburger Medizinstudentin im klinischen Studienabschnitt impfen lassen, Ende Mai war der zweite Termin dieser Impfaktion. Aktuell sind nach Kenntnisstand der Offenen Fachschaft Medizin cirka 95 Prozent meiner Kommiliton·innen im klinischen Studienabschnitt doppelt geimpft. Nachdem auf diese Weise die Impfquote unter Medizinstudierenden seit Ende Mai sehr hoch war, hatte ich wenig Verständnis dafür, dass ich das gesamte vergangene Sommersemester weiterhin hauptsächlich mit Online-Lehre verbrachte. Warum kann ich in meinem Fitnessstudio wieder ohne Maske in größeren Gruppen Sport machen, aber darf für meine Ausbildung nicht in die Klinik?

Statt einheitlicher Regelungen, welche Lehrveranstaltungen wieder in Präsenz stattfinden sollen, entwickelte jedes Fach eigene Konzepte. Das brachte großes Durcheinander. Ich hatte sogar zwei Unterrichtseinheiten auf Station, allerdings nur dank besonders engagierter Dozierenden. Sie mussten dafür wochenlang Sonderanträge stellen, wie ich auf Nachfrage erfuhr.

Zurück in der Klinik – das motiviert

In den vergangenen Wochen habe ich endlich wieder mehr Stunden in der Klinik verbracht. Das hat mich unglaublich motiviert. Man lernt die Inhalte morgens in der Vorlesung eben doch anders, wenn man sie nachmittags im Kontakt mit Dozierenden und Patient·innen braucht.

Es fällt mir dennoch schwer, zu einem abschließenden Urteil über die reduzierte Präsenzlehre zu kommen. Denn die Pandemie entwickelt sich dynamisch. Aktuell sind die Infektionszahlen erneut in Rekordhöhe, das macht mir Sorgen. Ob mit verschärften Hygienekonzepten Präsenzlehre und Unterricht am Krankenbett weiterhin vertretbar sind, ist unklar.

Selbstbestimmter Lernen durch Online-Lehre

Ist mein Studium wieder so, wie es einmal war? Nein. Wird es jemals wieder wie früher? Keine Ahnung. Vielleicht ist manche Veränderung auch ein Gewinn. Denn ja, ich fand es drei Corona-Semester lang auch ganz in Ordnung, die Vorlesung statt montagmorgens um acht auch erst um zehn gemütlich auf dem Sofa als Video ansehen zu können. Mit eigener Struktur konnte ich oft effektiver lernen. Dazu kommt der enorme Zuwachs an Flexibilität, beispielsweise für Studierende, die Kinder haben. Doch ein gemeinsamer Kaffee um fünf vor acht mit Mitstudierenden, mittendrin sein im Klinik- und Unibetrieb, das war das frühe Aufstehen wert, denke ich jetzt sehnsüchtig. Auf die Rückkehr dieses Lebensgefühls in mein Studium warte ich noch, trotz Untersuchungskurs in Präsenz.

Fotos: © privat & pixabay

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